Expertengespräch mit Michael Defranceschi am 07.04.2015.
Ein kurzes Gespräch, bei dem mich mein Beraterkollege Michael Defranceschi über die Herausforderungen im Zusammenhang mit der wachsenden Komplexität in der Wirtschafts- und Unternehmenswelt befragte:
Frage von Michael Defranceschi (MD): Was bedeutet das konkret für ein Unternehmen, das sich heute im Wandel bewähren muss?
Meine Antwort (ck): Unternehmen erleben stürmische Zeiten. Wenn sie stur und starr stehen bleiben, brechen sie. Sie überleben, wenn sie sich verhalten wie eine Birke: Diese wächst aufwärts, doch wenn es stürmt oder schwerer Schnee auf sie fällt, biegt sie sich, um anschliessend wieder gerade aufzustehen.
MD: Viele Unternehmen erleben das in den letzten Jahren besonders intensiv: Wirtschafts-, Währungs- und politische Krisen sind in diesem Bild von der Birke quasi die stürmischen Witterungseinflüsse, auf die ein Unternehmen rechtzeitig reagieren muss, auch wenn die Veränderungen mitunter recht plötzlich und wenig vorhersehbar eintreffen.
ck: Wenn die Komplexität zu groß wird, muss man sich zwingend neue Wege überlegen, um erfolgreich zu bleiben. Auf mögliche äussere Veränderungen kann sich ein Unternehmen vorbereiten, z.B. durch Risikomanagement und präventive bzw. proaktive Massnahmen. Trotzdem gibt es immer wieder Überraschungen. Für einige Schweizerische Unternehmen war der CHF-Kursrutsch keine Überraschung, denn sie beurteilten die durch die Nationalbank verursachte Kursstabilität als „endlich“. Der Zeitpunkt allerdings war nicht vorhersehbar.
MD: Gleichzeitig gibt es auch Branchen und Unternehmen, für die das Stichwort „Krise“ in gewisser Hinsicht den Schrecken verloren hat. Sie haben sich bereits auf sich laufend verändernde Rahmenbedingungen eingestellt und zu einer Arbeitsweise gefunden, mit der sie sehr flexibel auf neue Herausforderungen eingehen können.
ck: Genau: Sie haben bereits erkannt, dass das Wiederholen ehemals erfolgreicher Handlungsweisen nicht mehr zwingend zum Erfolg führt. Sie wissen, dass „mechanisch“ organisierte Organisationen nicht mehr in der Lage sind, dieser Komplexität gerecht zu werden. Viele Software entwickelnden Unternehmen haben sich von den alten Vorgehensweisen (Wasserfallmodell, U-Modell u.a.) verabschiedet. Stattdessen arbeiten sie mit agilen Methoden wie z.B. Scrum. Dadurch können sie mit unscharf formulierten Anforderungen umgehen und sie können flexibler, schneller und kostengünstiger auf neue Anforderungen reagieren.
MD: Die Herausforderung liegt also darin, dass Unternehmen eine gewisse „Agilität“ entwickeln. Haben wir es mit exakt vorgegebenen Prozessen und Verfahren übertrieben?
ck: Unter für längere Zeit stabilen Rahmenbedingungen wurden Prozesse immer präziser und mechanischer. Das war nicht falsch. Doch bei der heutigen Dynamik funktioniert dies nicht mehr. Wir brauchen heute robuste und agile Organisationen, die sich rasch anpassen können an sich verändernde Rahmenbedingungen.
MD: Wenn wir von Veränderungen sprechen und diese begleiten, stoßen wir natürlich auch auf Widerstände. Verschiedenste Studien gehen nach wie vor davon aus, dass deutlich mehr als die Hälfte aller betrieblichen Veränderungsprozesse letztlich scheitern – vor allem, weil zu sehr an der Veränderung von Strukturen gearbeitet wird und dabei auf die beteiligten Menschen vergessen wird.
ck: Wichtig ist, herauszufinden, was überhaupt veränderbar ist und was existenziell zum Unternehmen gehört und nicht verändert werden kann. Ich bin überzeugt, dass wir bei Entwicklungs- und Veränderungsprozesse viel weniger Widerstand haben, wenn die Menschen deren Sinn einsehen. Dann wird auch veränderbar, was auf den ersten Blick unveränderbar und Identität stiftend erscheint.
Zudem lohnt es sich, jenseits des analytischen Verstandes herauszufinden, was die Stärken und die Einzigartigkeit eines Unternehmens sind und darauf aufzubauen.
MD: Wir wissen heute wie wichtig es ist, die beteiligten Personen viel enger in anstehende Veränderungsprozesse einzubeziehen und auch deren Interessen, persönliche Ziele und Werte zu berücksichtigen.
ck: Ja, die Personen müssen ihre Einstellung, ihr Denken und Verhalten ändern. Das passiert nur, wenn sie in die übergeordneten Veränderungen einbezogen sind und einsehen, wozu sie sich ändern sollen. Der Handlungsspielraum des einzelnen Mitarbeiters muss deutlich größer werden, damit er improvisieren, rasch und adäquat agieren und reagieren kann. Voraussetzung dafür ist Vertrauen, und er benötigt neue Kompetenzen und Fähigkeiten, die er vielleicht noch erlernen muss. Früher musste er Checklisten ausfüllen, heute aus der Situation heraus vorausschauend entscheiden und handeln. Das sind riesige Entwicklungsschritte.
Es bedarf auch einer neuen Art von Führung: Führung heisst nicht mehr kontrollieren, sondern vertrauend Freiräume schaffen und gleichzeitig die Mitarbeiter zielorientiert coachen.
Strukturen und Prozesse müssen auf die neuen Gegebenheiten angepasst werden, weil sie einen deutlich höheren Handlungsspielraum der Beteiligten abbilden müssen. Die Menschen können sich nicht mehr an detailliert festgelegten Regeln festhalten. Das bedeutet auch, dass sie Fehler machen dürfen und daraus lernen.
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